Innovationszuständig
Alle reden von Innovation – aber was ist das eigentlich? Und wer genau ist dafür zuständig?
Wer wissen will, wie es ist, macht am besten erst mal eine Umfrage. Gehen wir dazu also auf die Straße, in die Nachbarschaft, ins Büro, unter die Leute. Und fragen wir: „Was halten Sie eigentlich von Innovationen?“
Was? Das ist eine dumme Frage, weil ohnehin niemand sagen wird: nichts. Aber auch auf dumme Fragen kann man ziemlich kluge Antworten bekommen. Man muss nur nachbohren. „Wer ist denn bei Ihnen für Innovationen zuständig?“ Darauf gibt es drei mögliche Antworten: Weiß nicht. Das Management. Die Innovationsabteilung. Die könnten, die sollten, die müssten mal was machen.
Die wahrscheinlichen Antworten zeigen, wie dringend nötig wir echte Innovation haben. Das ist eine Frage der Kultur. Die Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft ist weit fortgeschritten. Ein immer größerer Teil an Routinetätigkeiten wird automatisiert. Was bisher Menschen erledigten, übernehmen nun Netzwerke, Computer, informatische Systeme. Das hat den Vorteil, dass wir uns lästige und monotone Arbeit vom Hals schaffen können. Und den „Nachteil“, dass wir nun Farbe bekennen müssen. Denn das, was übrig bleibt, braucht unseren persönlichen Einsatz. Es ist originäre, unterscheidbare Arbeit, selbstständiges Entscheiden, individuelles Engagement.
Die große Hannah Arendt hat das als höchste Stufe der menschlichen Arbeit definiert: Entscheidungstätigkeit hat sie es genannt. Dabei werden die, die sich früher Befehle und Anweisungen abgeholt haben, nun selbst zuständig. Für das Lösen konkreter Probleme. Fürs Nachdenken. Fürs Entscheiden. Für die Bereitschaft, etwas zu verbessern. Alles zusammen schafft Innovation.
Das ist gut so. Denn es macht aus der Phrase „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ eine Realität. Der Mensch, das ist die Person, sein Eigenes, das, was man besonders gut kann und in einer komplexen Welt den entscheidenden Unterschied macht. Die Organisation der Wissensökonomie kann mit solcher Differenz umgehen. Sie organisiert Entscheidungstätigkeit. Sie ermöglicht die Innovationsfähigkeit ihrer Mitarbeiter.
Das ist ein Riesenschritt. Es macht aus einer Aufgabe, die bisher nur einer kleinen Führungsschicht zugeordnet war, eine Schlüsselqualifikation jeder Wissensarbeit. Für Innovationen sind damit alle zuständig, die mitdenken und nicht nur mitmachen. Und die, die mitdenken, sind auch die, die sich zuständig machen – also Verantwortung für Innovation und Veränderung übernehmen.
In einer Wissensorganisation arbeiten selbstständige Menschen, die, wie Peter Drucker es einmal formuliert hat, „ihr Kapital zwischen den Ohren tragen.“ Und die Führung? Sie besteht aus jenen „Ermöglichern“, die die jeweils besten Rahmenbedingungen für diese Selbstdenker schaffen.
Ist es nicht so, dass viele gar nicht selbst denken wollen, Verantwortung und Innovationsarbeit nach oben oder in Fachabteilungen abschieben und lieber darauf warten, dass man ihnen sagt, was zu tun ist? Und kann man angesichts des Mangels an qualifizierten Mitarbeitern denn so viel Selbstständigkeit fordern? Selbermachen, das heißt ja auch ganz klar mehr Arbeit – sich „abholen lassen“ ist einfacher.
Man kann das so sehen. Und gewiss liefert die Realität genug Anlass dafür. Aber sind Menschen grundsätzlich so? Stellen wir ein paar Fragen. Vielleicht haben einige schlechte Erfahrungen gemacht mit dem selbstständigen Denken. Vielleicht haben sie gelernt, dass man mit Anpassung und Passivität weiterkommt als mit eigenem Sinn und einer eigenen Haltung?
Dass heute so viele Menschen nach Purpose – nach dem Sinn und Zweck ihrer Arbeit – fragen, ist ein gutes Zeichen, dass die Veränderung nicht aufzuhalten ist. Wertebasiertes Denken weist dabei den Weg. Viele sehnen sich nach mehr Freiräumen und mehr Möglichkeiten zum Engagement, Junge wie Alte übrigens.
Selbstständigkeit führt zur Selbstverantwortung. Sie ist die wichtigste Ressource der Veränderung. Erst sie macht uns innovationsfähig. Also zuständig fürs Bessere.
Auch auf dumme Fragen kann man ziemlich kluge Antworten bekommen. Man muss nur nachbohren.